KINO IN ECHT
WIE IM ECHTEN LEBEN
VERLEIH: NEUE VISIONEN FILM
KINOSTART: 30. JUNI 2022
Die renommierte Schriftstellerin Marianne Winckler (Juliet Binoche) recherchiert für ihr neues Buch über das prekäre Leben der Unterschicht in Frankreich. Zu diesem Zweck gibt sie sich die Identität einer mittelosen Geschiedenen aus, die von ihrem Mann sitzengelassen wurde. Zu diesem Zweck verlässt sie ihr nobles Leben in Paris und zieht nach an die Küste in die die Stadt Caen. Dort wird sie vom Arbeitsamt schnell als Reinigungsfrau vermittelt. Doch die Sitten sind hart in der Branche. Beleidigende Chefs, anmaßende Kunden und natürlich all diejenigen, die Ferienhäuser und Sanitäreinrichtungen wie „Schweine“ hinterlassen.
Doch sie wird von der alleinerziehenden Mutter Christèle (Hélène Lambert) und der jungen Lucie (Aude Ruyter) unter die Fittiche genommen. Nachdem die drei etliche Demütigungen erleiden mussten, finden sie einen Job im Fährhafen von Ouistreham, wo sie innerhalb von 1 ½ Stunden 230 Kabinen mit der Putzkolonne putzen müssen.
Während Marianne bis zum Umfallen arbeitet, kommen ihre Kolleginnen und sie sich immer näher, derweil sie sich über das Erlebte Notizen macht. Doch eines Tages fliegt ihre Tarnung auf. Christèle und Lucie, die glaubten in Marianne eine gute Freundin gefunden zu haben, fühlen sich verraten.
Doch einige andere von Mariannes Kolleginnen sind froh, dass sie mit dem veröffentlichten Buch, die prekäre Situation in der sie Leben müssen ins Rampenlicht gerückt haben.
Der Film „Wie im echten Leben“ von dem Regisseur und Drehbuchautor Emmanuel Carrère auf den Erlebnissen der Autorin Florence Aubenas und ihrem Buch „Le Quai de Ouistreham“ indem sie persönlich als Putzkraft „Undercover“ für ihr Buch recherchiert hat. Emmanuel Carrère und Florence Aubenas erarbeiteten gemeinsam das Drehbuch zu diesem aufwühlend-nachdenklichen Film, der zwar tiefe Einblicke in das französische Prekariat gibt, aber im Vergleich zu Filmen wie z.B. „I, Daniel Blake (2016) “ und „Sorry, we missed you (2019“ doch nicht so radikal die sozio-ökonomischen Situation der Menschen der Unterschicht zeigt.
Die großartige französische Schauspielerin Juliet Binoche verkörpert als „Marianne Winckler“ das alte Ego der Buchautorin Florence Aubenas. Sie überzeugt in der Ambivalenz ihres Charakters, spielt sie doch eigentlich eine Schauspielerin die eine Schauspielerin spielt. Auf der einen Seite, zeigt sie, wie unangenehm es ihr ist, wenn sie Teile ihrer erfunden „Undercover-Biographie preisgeben muss und dann plötzlich das neugierige Funkeln in ihren Augen, wenn sie auf eine Story stößt und anfängt zu recherchieren für ihr Buch. Auch das ungewohnte, harte und übermüdete Leben einer im Niedriglohnsektor verharrenden Putzfrau bringt Juliet Binoche herausragend auf die Leinwand. Der Großteil der Nebenrollen wird von sog. Streetcast-Neulingen, also Menschen die aus diesem Milieu stammen, verkörpert. Dies belebt die Filmhandlung, gibt den Nebenfiguren „Tiefe“ und macht ihn glaubwürdig und läßt ihn authentisch erscheinen.
Die Kameraarbeit von Patrick Blossier („Days of Glory“, 2006) verstärkt diese Authentizität und versteht es den Zuschauer bis aufs letzte zu „fesseln“ und ihn mit den Protagonistinnen mitleiden zu lassen.
Die gefällige Filmmusik des Komponisten Mathieu Lamboley („Die Rückkehr des Helden“, 2018) rundet dieses mitfühlend-subtile Sozialdrama ab.
FAZIT: Dieser Film ist ein sehenswert-fesselndes Sozialdrama in einer Welt, die immer mehr durch prekäre Arbeit die Schere von „Arm und Reich“ auseinander gehen läßt.
GROßARTIG!
jens oliver marcks